…in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.»
Es ist ein Zitat von Karl Marx, das vollständig so lautet:
«Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist» (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, in: Karl Marx/Friedrich Engels Werke, Band 1, Berlin 1988, 385 – Hervorhebung im Original).

Es lohnt, sich mit der Religionskritik von Karl Marx auseinanderzusetzen, die in die Kritik des Kapitalismus als Religion mündet. Später wird Walter Benjamin über den «Kapitalismus als Religion» schreiben. Inwieweit Kirchen und Religionsgemeinschaften von berechtigter Kritik betroffen sind, entscheiden diese je selbst bzw. die Menschen, die sich auf den Gott der Bibel beziehen. Eines jeden Fall sollte deutlich sein, dass die Bibel selber a-theistisch an «Gott» zu glauben lernt: Er wird nicht als höchstes Wesen vorgestellt, gedacht, er ist nicht Gegenstand philosophischer Spekulation, sondern NAME, der befreit. Er hört den Schrei der versklavten Hebräerinnen und Hebräer, er erkennt das Unrecht, die Ausbeutung und die Unterdrückung, er kommt, zu befreien. Zugleich erzählt die Bibel schon in der Erzählung von Abraham und Sara, dass er jedes Menschenopfer ablehnt, gegen jede «Religion», die Opfer von Menschen fordert, Widerstand leistet. Abraham zieht weg aus dem Land der Menschenopferreligion und entdeckt den Gott, der Leben verheißt. Ein Gott, der Wort und NAME ist, der keine Opfer und keinen Kult will, sondern dass Recht und Barmherzigkeit getan werden.
Im Zuge der Nachfolge des Messias Jesus und seiner Ankündigung des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit, regt das Zitat von Karl Marx, der die Bibel oft zitiert, dazu an, den Sinn von «Inkarnation» neu zu entdecken, von Gott zu sprechen, für den selber der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist.
Lektüreempfehlung: Franz J. Hinkelammert, «Der Mensch als höchstes Wesen für den Menschen», in: U. Eigenmann, K. Füssel, F.J. Hinkelammert, Hrsg., Der himmlische Kern des Irdischen, Luzern/Münster 2019, 65-96; Kuno Füssel, «Marx und die Bibel», in: A.a.O., 47-64.