Die aktuelle Debatte um die Konzernverantwortungsinitiative konfrontiert uns ungewollt, aber notwendigerweise mit der Frage nach „Sinn“ und „Unsinn“ von Kirche: Innerhalb und ausserhalb ihrer selbst tönt es vielfach vollmundig, die Kirche habe sich aus der Politik herauszuhalten. Kann sie das überhaupt? Als eine Gemeinschaft, die jeden Sonntag zu einer Versammlung ruft und im Namen der biblischen Befreiungstradition ein öffentliches Wort ausrichtet?
Kirche ist immer politisch
Als Gemeinschaft, die sich sowohl öffentlich als auch grenzenlos formiert, ist sie immer politisch: Als öffentlich sprechende Gruppe wird sie, auch wenn sie wegsieht, aktuelle, drängende Fragen verschweigt, den Einspruch unterlässt, als Kirche politisch und macht sich zugleich schuldig sowie letztendlich überflüssig. Das zeigt die Schuldgeschichte vor allem des Christentums im Pakt mit den Mächtigen, systemstützend, verraten im Korsett bürgerlicher Gefangenschaft. Zudem gilt: Als Gemeinschaft, die keine nationalen Grenzen kennt, in der es nur noch Freie und Gleiche geben soll, stellt sie in noch radikalerer Weise unsere allzu gewohnten Muster von Zugehörigkeit und Ausschluss in Frage.

Wer also von Kirche fordert, sich aus den drängenden politischen Fragen herauszuhalten, will sie mundtot und wenn nicht gefügig, dann eben überflüssig machen.
Ein Humanismus der Praxis
Der bedeutende Schweizer Befreiungstheologe Urs Eigenmann bringt in mehreren aktuellen Publikationen das Christentum auch durch die Aufarbeitung seiner „Verkehrungen“ auf den Punkt, wenn er es auf seine Wurzeln in der prophetisch-messianischen Bewegung zurückführt: Auf diesen Jesus aus Nazareth, der das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit für die Erde proklamiert, der in Konflikt mit den Herrschenden gerät, in einem politischen Prozess verurteilt und am Kreuz der Römer hingerichtet wird. Auf die Befreiung der hebräischen Sklavinnen und Sklaven aus Ägypten. Auf die, die Gerechtigkeit statt kultischer Opfer forderten. Auf den einen biblischen Gott, der das Elend der Ärmsten sieht, ihr Schreien hört und der kommt, sie zu befreien.
Darum bestimmt Eigenmann das Christentum, das sich auf Jesus aus Nazareth beruft als „Humanismus der Praxis“, bei dem die Armen im Zentrum stehen. Kurz und einfach: Kirche ist Kirche Jesu Christi nur dann, wenn sie sich in ihrer Praxis, die Rede, Aktion, Denken und Bildung, symbolische Feiern und Gemeinschaft umfasst, unmissverständlich und hörbar an die Seite der Armen, Unterdrückten und Bedrängten stellt. Wenn sie in allem Sprechen, Singen, Beten und Tun menschenrechtlich wirkt.
Der diakonische Aufbruch der Kirche
Darum ist nur eine diakonische Kirche Kirche Jesu: Vom griechischen Wort her bedeutet Diakonie Dienst. In einer befreienden Theologie ist das ein umfassender Dienst, um auf allen Ebenen für das Leben eines jeden einzelnen Menschen einzustehen und zu kämpfen.
Sie gehört neben Liturgie, Verkündigung und Gemeinschaft zu den vier Grundfunktionen jeder christlichen Gemeinde, die sich gegenseitig durchdringen und inspirieren. Diakonie ist die Basis, auf der alles andere ruht, aber nach wie vor in einer konkreten Ausgestaltung mit gut ausgebildeten Menschen vor Ort völlig unterrepräsentiert ist. Das muss sich ändern, will Kirche an Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. Die Krise der „typisch“ kirchlichen Berufe wie Theologinnen und Katecheten kann zu einem Aufbruch für eine diakonischen Kirche der Zukunft bzw. für eine Zukunft von Kirche werden, die wieder aus ihrer messianischen Wurzeln lebt und dabei „unerhört“ und hörbar politisch ist.
Die große Erzählung fortschreiben
Im Jahr 1986 hielt der niederländische Theologe Dick Boer einen Vortrag vor Studierenden mit dem provokanten Titel „Die Bibel, ein rotes B/Tuch?“ Boer beantwortet die Frage mit Ja und sagt: „Das ‚rote Tuch’ bezog sich darauf, dass diese These für die geläufige, unpolitische Sicht der Bibel eine Riesenprovokation bedeutete: Ja, die Bibel war ein rotes Buch, und zwar durchgehend: Sie bietet uns die Große Erzählung… einer Befreiungsbewegung.“
Für die christlichen Gemeinden vor Ort, in den Pfarreien Frenkendorf-Füllinsdorf, Gelterkinden und Sissach, wird es notwendig, aber auch befreiend sein, die Errichtung eines regionalen Sozialdienstes zu ermöglichen. Damit baut sie an der Kirche von morgen.
Peter Bernd, Pastoralraumpfarrer