…belehrt uns darüber, dass der ‚Ausnahmezustand’, in dem wir leben, die Regel ist“, schrieb Walter Benjamin auf der Flucht vor den Nazis. – Das trifft auf die Geflüchteten in den Lagern zu, auf die Menschen in den Ländern, in denen Krieg herrscht oder der Hunger; es trifft zu auf die Menschen in den Elendsvierteln der Grossstädte dieser Welt, auf die Obdachlosen mitten unter uns. Ihnen allen setzt die jetzige Krise mehr zu als anderen, vor allem uns Privilegierten.

Für die meisten von uns ist der Ausnahmezustand nämlich und gewiss nicht die Regel, aber vielleicht die Möglichkeit etwas über die zu lernen, die ihn immer ertragen müssen. Lernen vor allem darüber, dass Menschenrechte, Leben in Würde für alle verbrieft wären. Dass Solidarität sehr viel mehr ist, als für die Nachbarin einkaufen zu gehen, so toll derzeitiges Engagement und vielfache Fantasie für das Zusammenleben im Moment ist. Erst in ihrer menschenrechtlichen Dimension, die keinen ausschliesst und sich mit dem ständigen Ausnahmezustand von Menschen niemals abfindet, wird Solidarität in ihrem Sinn erfasst und kann überhaupt erst glaubhaft werden. Dazu gehört das Bewusstsein, dass Menschenrechte ihre Wirkung nur einfalten können, wenn sie immer neu erstritten werden. Darauf weist Anna Jikhareva in ihrem glänzenden Artikel „Wenn die Angst regiert“ in der WOZ vom 16. April hin. Sie verweist auf die Gefahr immer weiterer Kontrolle, wo auf Freiheit zugunsten von „Sicherheit“ verzichtet wird, auf die Dystopie digitaler Überwachung als neuem Normalzustand, auf verschärfte Polizeigesetze, die die Freiheit, auf die Strasse zu gehen und zu demonstrieren, immer mehr einschränken. Da ist schon zu viel verschoben worden im Zuge des so genannten „Krieges gegen den Terror“. Der Ausnahmezustand führt zu mehr Autoritarismus, wie gerade in Ungarn oder Polen vorgeführt wird – mitten in Europa. „Was gerade gebaut wird, ist die Architektur der Unterdrückung“, wird mit Edward Snowden einer zitiert, der selber Flüchtling und Verfolgter ist. Die Autorin des besagten Artikels sagt etwas ganz Wichtiges: Nämlich dass es nun gilt, den Ausnahmezustand auch im Kopf aufzuheben. Und: „Die Dystopie manifestiert sich auch in Wörtern wie ‚Social Distancing’ und ‚Contact Tracing’. Wir sollten sie, als kollektive Wesen, nicht verwenden.“ Dieser Aussage schliessen wir uns überzeugt an und wünschen uns allen: Beherztheit, solidarischen Mut, Mitmenschlichkeit und die Bewegung der Körper, wo es nötig ist, in der Krise und darüber hinaus.
Pfarreiteam Dreikönig
